Mai 1

Angst vor Scheitern oder Kritik? So nimmst du ihr den Schrecken

Tick-Tock ist eine meiner Lieblingsübungen. Es ist eine Methode, die hilft, mit Zweifeln, Ängsten und Unsicherheit umzugehen. Ich nutze sie gern am Anfang eines großen Projekts und vor Aufgaben, bei denen ich nicht genau weiß, wie ich anfangen soll und wie ich sie bewältigen kann.

Sie ist auch Teil des Aufschieberitis-adieu-Programms (in Lektion 2; dort zeige ich zusätzlich eine noch weiter führende Form, das Tick-Tock Plus).

Tick-Tock und Aufschieben

Gerade beim Aufschieben ist uns oft gar nicht so genau klar, wovor wir wirklich Angst haben. Wie genau die Ängste, die Zweifel ausschauen. Teilweise ist uns gar nicht bewusst, dass uns Ängste und Zweifel behindern.

Und das ist das Fiese daran. Denn solange diese Befürchtungen so diffus sind, sind sie nicht wirklich greifbar.

Viele unserer Ängste sind nämlich ― bei Lichte betrachtet ― gar nicht haltbar. Das, was wir fürchten, wird in vielen Fällen gar nicht eintreffen. Oder es wäre gar nicht so schlimm. Dennoch sitzen sie tief und sind sehr hartnäckig.

Mit Tick-Tock kannst du die Ängste und Zweifel ans Tageslicht holen und ihnen damit ihre Macht nehmen.

Bevor ich dir zeige, wie Tick-Tock funktioniert, schau dir erst einmal dieses Bild an:

Aufschieberitis Tick-Tock Selbstzweifel Ängste

Auf den ersten Blick ergeben die Figuren aus der Abbildung wahrscheinlich keinen Sinn. Schließlich bist du durch jahrelanges Lesen darauf trainiert, schwarze Buchstaben vor weißem Hintergrund zu lesen, und achtest nicht auf die weißen Zwischenräume.*

Wenn du jetzt aber den Fokus auf die weißen Flächen richtest, erkennst du das Wort „THINK“.

Jetzt stehen für dich die weißen Flächen im Vordergrund, und die schwarzen sind in den Hintergrund gerückt.

Und genauso funktioniert Tick-Tock: Wie die schwarzen Figuren rücken bei Tick-Tock deine negativen Gedanken in den Hintergrund, die positiven Gedanken dominieren.

* OK, ich hab inzwischen gelernt, dass es offenbar doch eine ganze Menge Menschen gibt, die das THINK auf Anhieb erkennen. Das sind typischerweise Menschen, die zeichnen oder malen, und auch Fotografen, die noch mit Filmen und Negativen hantiert haben oder es immer noch tun.

Tick-Tock, Vorbereitung: die negativen Gedanken zu Papier bringen

  1. Nimm dir ein Blatt Papier oder ein leeres Dokument in deinem Schreibprogramm. Notiere dir nun unzensiert alle negativen Gedanken, die du zu dem Projekt oder der Aufgabe hast, an dem/der du arbeitest ― oder arbeiten solltest.
  2. Ich empfehle dir, die Liste einige Zeit liegen zu lassen, vielleicht eine Runde spazieren zu gehen. Danach ergänzt du, was dir in der Zwischenzeit noch eingefallen ist.

Jetzt hast du vieles von dem, was bisher irgendwo im Hinterkopf waberte, erst einmal zu Papier gebracht. Jetzt sind diese Zweifel und Ängste nicht mehr so diffus, sondern stehen schwarz auf weiß auf dem Papier oder dem Bildschirm.

Und jetzt kannst du auch erkennen, wie da ein übermäßig kritischer Anteil in dir Dinge verdreht, Negatives aufbläst und Positives unter den Tisch fallen lässt.

Zwei Hinweise


01

Nach meiner Erfahrung gibt es in den meisten Fällen noch weitere Ängste und Zweifel, die tiefer verborgen sind. Mit denen beschäftigen wir uns in der nächsten Lektion. Für den Moment reicht die Liste, die du jetzt hast, völlig aus..


02

Tick-Tock ist gut für viele Ängste und Zweifel geeignet, die uns davon abhalten, ins Tun zu kommen. Ganz tief sitzende Überzeugungen wie „Ich bin nicht gut genug“ wirst du damit aber nicht mal eben in einer halben Stunde auf immer und ewig „wegzaubern“ können. Für mich ist Tick-Tock ein guter Start, mit dem ich die inneren Bremsen löse und loslegen kann.

Tick-Tock, Schritt 1

  1. Nun nimmst du ein zweites Blatt Papier und ziehst eine senkrechte Linie. Oder du nimmst die Word-Datei, die du in den Downloads findest.
  2. Über die linke Spalte schreibst du „Tick“, über die rechte „Tock“.
  3. In die linke Spalte überträgst du nun den ersten der negativen Gedanken (Ängste/Befürchtungen).

Tick-Tock, Schritt 2: Abstand herstellen

Oft fällt es uns nicht so leicht, einen positiven Gegen-Gedanken zu finden. Dabei kann eine der beiden Vorgehensweisen helfen:

  • Tritt innerlich zwei, drei Schritte zurück. Sodass du dich gleichsam vor deinem inneren Auge selbst beobachtest. Im Coaching spricht man von Meta-Position.
  • Vielleicht fällt dir aber auch eine andere Vorgehensweise leichter: Such dir eine Person aus, die dich kennt und die dir wohlwollend gegenübersteht. Versetz dich gedanklich in diese Person, und schau aus ihren Augen auf dich. Was würde diese Person zu dem negativen Gedanken sagen?
    Du kannst diese Person auch fragen, wirkungsvoller ist es allerdings, wenn du dich in diese Person hineinversetzt und die Gegen-Gedanken selbst findest.

Tick-Tock, Schritt 3: die negativen Gedanken entkräften

  1. Dann nimm dir den ersten negativen Gedanken vor. Lass ihn auf dich wirken. Und dann schau ― mit Abstand bzw. aus den Augen der Person, die du im vorherigen Schritt gewählt hast ― auf diesen negativen Gedanken.
  2. Finde mehrere positive Gegen-Gedanken. Je mehr, desto besser.
  3. Dann nimmst du dir den nächsten negativen Gedanken von der Liste vor und entkräftest den. Das wiederholst du, bis du mit allen durch bist.

Einige Beispiele für Tick-Tock

Tick

Tock

Das ist so eine Riesenaufgabe. Das krieg ich nie im Leben hin.





>Ich muss nicht alles auf einmal schaffen. Wichtig ist erst einmal, dass ich anfange.

> Stimmt, das ist eine Riesenaufgabe. Und was ist jetzt der erste Schritt?

> Wie isst man einen Elefanten? Einen Biss nach dem anderen.

Ich bin die Expertin für ... Ich muss alles wissen und in meinem Buch/Kurs unterbringen.









> Mit dem Anspruch wird das Buch nie fertig. Du wirst nie alles wissen können.

> Natürlich könnte ich ein paar Hundert Seiten füllen. Aber wer soll das denn lesen?

> Außerdem: Als Expertin ist es meine Aufgabe, das herauszufiltern, was für die Leserinnen wirklich wichtig ist.

> Beim letzten Buch kam doch der Leserbrief von diesem Prof, der sich bedankt hat, weil er zwar das meiste schon kannte, aber doch noch ein paar Dinge neu gelernt hat.

Ich hab keine Selbstdisziplin. Ich werde es wieder nicht schaffen, mir die Zeit dafür freizuschaufeln und bis zum Schluss dranzubleiben.




> Naja, etwas Disziplin musst du schon haben. Sonst hättest du das Studium nicht geschafft.

> Das Projekt ist mir so wichtig. Dafür bin ich bereit, für eine überschaubare Zeit täglich zwei Stunden zu investieren und dafür die Zeit bei Netflix einzuschränken.

Wie kann ich als Perfektionist ein Buch über Perfektionismus schreiben?





> Wer sonst sollte ein Buch zu dem Thema schreiben? Das kann nur jemand schreiben, der am eigenen Leib erlebt hat, wie das ist.

> Und das kann nur jemand schreiben, der gelernt hat, mit den negativen Seiten umzugehen..

Ob die Gegen-Gedanken unter „Tock“ in der Ich- oder Du-Form formuliert sind, ist unerheblich. Meist kommen die Botschaften in der Du-Form, wenn man sie aus der Perspektive einer anderen Person formuliert.

Tick-Tock: die Quelle

Tick-Tock stammt aus dem Buch „Thinkertoys“ von Michael Michalko (leider nie ins Deutsche übersetzt); das ist eine Sammlung toller Kreativitätsübungen.

Die Fassung, die ich hier vorstelle, ist gegenüber Michalkos Original leicht erweitert: Der Tipp, die Gegen-Gedanken aus einer Meta-Position bzw. dem Blickwinkel einer anderen Person zu formulieren, stammt von mir.


Das Titelfoto stammt von Depositphotos.com.


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