September 30

Wieso du deine Ängste ansehen musst, um sie ablegen zu können

Ängste und Selbstzweifel sind die großen Verhinderer. Sie verhindern, dass wir uns auf Neues einlassen, neue Aufgaben oder anspruchsvolle Projekte anpacken oder Dinge tun, die wir noch nie getan haben.

Jedes Mal, wenn wir uns an etwas Neues wagen, riskieren wir ja viel:

  • Wir könnten scheitern.
  • Wir könnten falsche Entscheidungen treffen.
  • Wir könnten merken, dass die Aufgabe eine Nummer zu groß ist für uns. Oder, vielleicht noch schlimmer: Andere könnten das sehen.
  • Wir könnten Kritik ernten.
  • Wir könnten auf Ablehnung stoßen.
  • Wir könnten etwas verlieren, was uns wichtig ist.

All diese Risiken machen uns Angst. Oder sie wecken zumindest Zweifel.

Und Selbstzweifel und Ängste blockieren uns. Sie verhindern, dass wir endlich den Roman schreiben oder den Song aufnehmen, der uns auf den Nägeln brennt. Sie verhindern, dass wir den nervigen Job aufgeben oder uns um eine anspruchsvolle Stelle bewerben. Sie verhindern, dass wir den süßen Typen ansprechen oder die Frau, die uns interessiert. Sie verhindern, dass du tust, was dir am Herzen liegt.

Was gegen Ängste und Selbstzweifel nicht hilft

Da sich Angst körperlich extrem unangenehm anfühlt, haben wir Menschen verschiedenste Methoden „entwickelt“, Angst nicht zu spüren:

  • Wir meiden die Situationen, vor denen wir Angst haben bzw. in denen wir Angst spüren ― das ist eine der zentralen Ursachen für Aufschieberitis.
  • Wir unterdrücken das Gefühl der Angst, indem wir unsere Gefühle so oft und so lange herunterregeln, bis wir nichts mehr spüren.
  • Wir betäuben die Angst: Wir nehmen Medikamente oder greifen zu Alkohol, wir lenken uns ab, etwa mit exzessivem Arbeiten, Konsum, Sport oder auch Sex.
  • Wir versuchen, gegen die Angst anzukämpfen: Arschbacken zusammenkneifen, Zähne zusammenbeißen, Augen zu und durch. Das kann funktionieren, allerdings ist der Preis sehr hoch (Verspannungen, Kopfschmerzen, Magenprobleme). Und wenn die Angst so nicht weggeht, dann führt das oft zu Selbstabwertung - was die Angst vor Scheitern in der Zukunft noch verstärkt.

Das Problem dabei: Alle vier Methoden setzen nicht an den Ursachen der Angst an. Dadurch löst sich die dahinter sitzende Ursache nicht. Stattdessen verfestigt sich die Angst und wird immer resistenter gegen Veränderung.

Wir nehmen uns damit die Möglichkeit, das zu lösen, was die Angst triggert.

Dazu ist es erst einmal wichtig, sich anzuschauen, wovor wir eigentlich wirklich Angst haben.

Solange wir vor den Ängsten davonlaufen, sie ignorieren oder betäuben, solange wir sie uns nicht genau anschauen, bleiben sie diffus. Im Nebel.

Was du tun kannst, um die Ängste und Selbstzweifel loszulassen

Dabei ist es häufig so: Wenn wir nur genau hinschauen würden, würden wir merken, dass wir gar keine Angst (mehr) haben müssten. Dass wir gut in der Lage sind, mit der Situation umzugehen, der wir ausweichen. Dass die Konsequenzen gar nicht so schlimm wären, und dass sie oft gar nicht eintreten werden.

Das merke ich aber erst, wenn ich genau hinschaue.

Falls du keine Angst spürst

Wenn ich im Coaching zum Beispiel bei Aufschiebeverhalten erkläre, dass das viel mit Ängsten und Zweifeln zu tun hat, ernte ich oft verständnislose Blicke. Da kommt oft ein: „Das kann nicht sein. Ich spür doch keine Angst.“

Und das stimmt wahrscheinlich sogar. Aufschieberitis ist ein Vermeidungsverhalten. Wenn wir aufschieben, vermeiden wir die Situation, vor der wir Angst haben (ob wir sie nun spüren oder nicht). Trotzdem sind wir von der Angst gesteuert.

Also: Wenn du dich immer wieder dabei ertappst, nicht zu tun, was du tun willst oder solltest, lohnt es sich, nachzuforschen, ob dahinter nicht Angst steckt.

 

Tipp 1: Die Angst kennenlernen

Auch wenn du glaubst, schon zu wissen, wovor du Angst hast, frag dich und spüre in deinem Körper nach:

  1. Wovor habe ich wirklich Angst?
  2. Welche Gedanken sind damit verbunden? Vielleicht gibt es auch eine innere Stimme, die etwas zu mir sagt?
  3. Wie fühlt sich die Angst in mir an? Wo im Körper spüre ich sie - und wie?

Hilfreich finde ich (zu Schritt 1 und 2) eine kleine Übung namens Tick-Tock, die ich selbst für mich nutze und auch meinen Klient*innen im Coaching und in Seminaren anbiete. Eine ausführliche Anleitung zu Tick-Tock findest du über den Link.

Tick-Tock kannst du gut alleine machen. Und manchmal ist es gut, jemand dabei zur Unterstützung an der Seite zu haben - ich begleite dich dabei gerne.

Oft löst sich die Angst nach ein-, zweimal „Tick-Tock-en“ auf. Oder es wird klar, dass die Angst gar nicht so schlimm ist, dass man mit den Konsequenzen gut leben könnte.

Tipp 2: Die Angst über den Körper regulieren

Angst ist in der Regel auf etwas in der Zukunft gerichtet. Wir haben Angst vor dem, was ― gleich (also nicht jetzt) oder noch später ― passieren könnte. Da hilft es, sich auf das Hier und Jetzt zu konzentrieren und Aufmerksamkeit (zurück) in den eigenen Körper zu lenken.

Vorsicht: Angststörung

Falls du unter einer Angststörung leidest, lege ich dir dringend ans Herz, dir therapeutische Unterstützung zu suchen. Angststörungen erkennst du zum Beispiel an starkem Herzrasen, Atemnot, Erstickungsgefühlen, starkem Schwitzen oder Kälteschauern, Zittern und der starken Angst, die Kontrolle zu verlieren.

Es gibt es eine ganze Reihe von Möglichkeiten, mit denen du dich zurück ins Hier und Jetzt bringst:

Konzentriere dich auf deinen Atem

Wenn wir Angst haben, halten wir häufig (unbewusst) die Luft an. Dadurch wird der Körper nicht ausreichend mit Sauerstoff versorgt, wir sind über kurz oder lang nicht mehr handlungsfähig - im schlimmsten Fall wird uns schwarz vor den Augen.

Wenn die Angst kommt: Achte auf deinen Atem. Atme die verbrauchte Luft aus, atme ruhig wieder ein, nicht hektisch, sondern ganz ruhig. Konzentriere dich ganz auf deinen Atem.

Wenn du merkst, dass ein Gähnreflex kommt: Gähne ausgiebig. Und falls dann ein Lachen kommt, gib dem nach. Wer lacht, hat keine Angst (mehr).

Nachspüren, wo die Angst sitzt

Spüre nach, wo im Körper du die Angst spürst. Wie nimmst du sie wahr?

Oft hilft es auch, eine Hand auf die Stelle zu legen, an der die Angst zu spüren ist - das beruhigt.

Hände auflegen

Diesen Tipp habe ich bei der Traumatherapeutin Michaela Huber kennengelernt:

  1. Wenn du spürst, dass Angst aufsteigt: Lege beide Hände übereinander auf den Brustkorb. Und zwar in der Mitte des Brustkorbs, 4 bis 5 cm unter dem Halsansatz.
  2. Konzentriere dich auf die Berührung und atme langsam aus und ein. Spüre, wie sich der Brustkorb leicht hebt und senkt (es geht nicht darum, die Lungen gewaltig aufzublasen, am wirkungsvollsten ist es, wenn sich der Brustkorb nur leicht hebt und senkt).
  3. Bleibe einige Zeit dabei, bis du merkst, dass du ruhiger wirst und die Angst wieder geht.

Unter der Stelle liegt die Thymusdrüse; sie ist Teil unseres Immunsystems und produziert Immunzellen.

 

Bildhinweise

Das Titelbild stammt von Amanda Dalbjörn, die anderen Fotos von Julian Paul, Guilia Bertelli und Egor Vikhrev (alle via Unsplash).


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